Erweiterung der Strafzumessungsnorm § 46 StGB

Geschlechtsspezifische Gewalt als menschenverachtender Beweggrund

(2022/07) Mit Pressemitteilung vom 19. Juli kündigt das Bundesjustizministerium einen "Neustart in der Strafrechtspolitik" an, der u.a. die Berücksichtigung geschlechtsspezifischer und gegen die sexuelle Orientierung gerichteter Tatmotive bei der Strafzumessung beinhalten soll. Das ist zu begrüßen und notwendig, aber nicht hinreichend. Und wurde bereits im November 2020 vom Deutschen Juristinnenbund gefordert.

Der Pressemitteilung folgend soll der "...Begriff „geschlechtsspezifisch“ dabei nicht nur die unmittelbar auf Hass gegen Menschen eines bestimmten Geschlechts beruhenden Beweggründe erfassen, sondern auch die Fälle einbeziehen, in denen die Tat handlungsleitend von Vorstellungen geschlechtsbezogener Ungleichwertigkeit geprägt ist. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Täter gegenüber seiner Partnerin oder Ex-Partnerin mit Gewalt einen vermeintlichen patriarchalischen Herrschafts- und Besitzanspruch durchsetzen will. Die ausdrückliche Nennung der „gegen die sexuelle Orientierung gerichteten“ Tatmotive betont die Notwendigkeit einer angemessenen Strafzumessung für alle Taten, die sich gegen LSBTI-Personen richten."

Neben der Erweiterung der Strafzumessungsnorm § 46 StGB muss flankierend gesichert sein (und hier schließen wir uns den Forderung der djb an), dass

  • zur Vereinheitlichung der Rechtsanwendungspraxis die Teilnahmen an Fortbildungen für Staatsanwält:innen und Richter:innen zum Thema geschlechtsbezogene Gewalt vepflichtend werden

  • das Bestehen einer intimen Beziehung zwischen Täter und Opfer nicht strafmildernd berücksichtigt wird. Im Gegenteil, die Istanbul-Konvention sieht in Artikel 46 lit. a und h vor, dass Übergriffe von (Ex-)Partnern strafschärfend berücksichtigt werden können.

  • wenn sich der Täter mit der Verletzung oder Tötung der trennungswilligen Partnerin über das grundsätzliche Recht hinwegsetzt, frei darüber zu entscheiden, mit wem sie*er eine Partnerschaft eingeht oder aufrechterhält, dies bei der Strafzumessung als bestimmender, in den Urteilsgründen zu erörternder Strafzumessungsgrund (§ 267 Abs. 3 S. 1 StPO) berücksichtigt werden sollte und bei Tötungsdelikten grundsätzlich zur Einordnung in die Fallgruppe der „niedrigen Beweggründe“ führt – und damit auch eine Verteilung wegen Mord erfolgt.

Zudem sollte das Recht auf kostenfreie psychosoziale Prozessbegleitung auf alle Betroffenen von geschlechtsspezifischer Gewalt im Sinne der Istanbul-Konvention ausgeweitet werden, bei allen geschlechtsspezifischen Körperverletzungsdelikten ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung angenommen werden, sofern dem nicht gerade Opferinteressen entgegenstehen. Verweisungen auf den Privatklageweg sollten in solchen Fällen ausgeschlossen sein.

Und daneben braucht es umfangreiche Anstrengungen bei der Prävention geschlechtsspezifischer Gewalt, wie das Policy Paper des djb darlegt.