einschneidende Kürzungen im Anti-Gewalt-Bereich  Protestbrief an die Abgeordneten des Ausschusses für Integration, Frauen und Gleichstellung, Vielfalt und Antidiskriminierung

2025/09 - 

Der Berliner Anti-Gewalt-Bereich befindet sich in einer ernsten Lage: Die für das Haushaltsjahr 2026 angekündigten Kürzungen bedrohen unsere Arbeit existenziell und betreffen alle Frauen*projekte, die in der Senatsverwaltung Gleichstellung gelistet sind.

Sehr geehrte Abgeordnete,

der Berliner Anti-Gewalt-Bereich befindet sich in einer ernsten Lage:

Die für das Haushaltsjahr 2026 angekündigten Kürzungen bedrohen unsere Arbeit existenziell und betreffen alle Frauen*projekte, die in der Senatsverwaltung Gleichstellung gelistet sind. Für das Haushaltsjahr 2026 sind uns schon vor einiger Zeit pauschale Kürzungen von 2 % angekündigt worden. Dies trifft einen ohnehin unterfinanzierten Bereich, in dem der Großteil der Kosten Fixkosten sind, auf die wir keinen Einfluss haben. Schon eine Einsparung an 2 % hat bei einigen Trägern zur Überlegung geführt, ob sie im kommenden Jahr eher an Druck- oder an Telefonkosten sparen müssen.

Nun wurde uns mitgeteilt, dass darüber hinaus auch Stufensprünge der Mitarbeiter*innen, ebenso wie Mietsteigerungen nicht gegenfinanziert werden. Gleichzeitig sind wir per Zuwendungsbescheid zur Anwendung der TV-L Entgelttabellen verpflichtet. Eine tarifgerechte Bezahlung ist damit nur über Stellenkürzungen oder -streichungen möglich.

Das tatsächliche Ende einer tarifgerechten Bezahlung durch Übernahme auch der Kosten für Stufenaufstiege, das uns durch diese Entscheidung nun droht, trifft auch einen Bereich, in dem fast ausschließlich Frauen arbeiten. Wie Ihnen sicherlich bekannt ist, bekommen die Frauenprojekte erst seit 2017 tarifgerechte Bezahlung. Von 1996 bis 2017 waren wir durch den Berliner Senat von sämtlichen Tariferhöhungen ausgeschlossen.

Sollten die Träger im Hilfesystem ab 2026 keine Stufensprünge in der Bezahlung der Mitarbeiterinnen finanzieren können, entsteht eine Ungleichbehandlung der Mitarbeiterinnen im Vergleich zu öffentlichen Einrichtungen. Dabei lautet eine Forderung der feministischen Bewegung seit Jahrzehnten: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit! So droht der Weggang von qualifiziertem Personal und ihrer oft einmaligen, kaum zu ersetzenden Expertise.

Der Berliner Anti-Gewalt-Bereich arbeitet seit Jahrzehnten in ständiger Mangelverwaltung. In Berlin fehlen nach den Vorgaben der Istanbul-Konvention derzeit 486 Schutzplätze für gewaltbetroffene Frauen. Täglich müssen die Berater*innen an der BIG Hotline gegen Häusliche Gewalt 10–15 schutzsuchenden Frauen und ihren Kindern mitteilen, dass es keinen freien Platz gibt. Seit Jahren machen die Mitarbeitenden des Berliner Anti-Gewalt-Bereichs auf die dramatischen Zustände aufmerksam. Trotz unserer anhaltenden Mahnungen sind im vergangenen Jahr allein in Berlin 29 Frauen von ihren Partnern oder Ex-Partnern getötet worden.

Die Senatsverwaltung für Gleichstellung hat immer wieder betont, dass das Hilfe- und Unterstützungssystem für (gewaltbetroffene) Frauen erhalten bleiben soll. Das Gegenteil ist nun der Fall. Der Berliner Senat rühmt sich öffentlich damit, den Haushalt aufgestockt zu haben, um in die Infrastruktur zu investieren. Doch dies bezieht sich nur auf technische Infrastruktur – Schutzräume und Beratung werden dagegen reduziert, wodurch die Sicherheit und Lebensqualität von Frauen, Mädchen und queeren Menschen sinkt.

Zudem arbeitet der Anti-Gewalt-Bereich in Berlin eng verzahnt zusammen. Der Wegfall von Beratungs- oder Schutzkapazitäten in nur einem Projekt führt zu einer Mehrbelastung in allen anderen Projekten. So vermittelt die BIG Hotline Anrufende an alle Beratungsstellen und Schutzplätze in Berlin weiter – je weniger Angebote bestehen, desto schwieriger auch die Vermittlungsarbeit.

Besonders alarmierend ist, dass auch Maßnahmen des Landesaktionsplans zur Umsetzung der Istanbul-Konvention nicht wie geplant umgesetzt werden – ein klarer Wortbruch gegenüber internationalen menschenrechtlichen Verpflichtungen und Versprechen des Berliner Senats.

Gemeinsam mit den Mitgliedsorganisationen des berliner frauennetzwerks (bfn) fordern wir

  • die geplanten Kürzungen im Bereich Gleichstellung und Gewaltschutz vollständig zurückzunehmen,
  • die zugesagten Mittel für die Umsetzung der Istanbul-Konvention verbindlich bereitzustellen,
  • Frauen- und Gleichstellungsarbeit nicht als freiwillige Leistung zu behandeln, sondern als unverzichtbare Grundlage einer demokratischen, sozialen Stadt.

Wir fordern Sie als Abgeordnete auf, in den folgenden Wochen in den Ausschüssen für Gleichstellung und Haushalt sich aktiv für eine Abwendung dieser Kürzungsmaßnahmen einzusetzen. Die erste Möglichkeit besteht schon am kommenden Donnerstag den 18.09.2025 im Ausschuss für Integration, Frauen und Gleichstellung, Vielfalt und Antidiskriminierung.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Doris Felbinger, Geschäftsführung BIG e.V.