Girls´ Day

Schon junge Mädchen lernen, dass Gewalt gegen sie normal ist

(2014/03) Der Girls' Day soll dazu beitragen, die beruflichen Perspektiven von Mädchen zu erweitern und zu verbessern. Die persönliche und berufliche Entwicklung von Mädchen wird von Gewalterfahrungen negativ beeinflusst. Auch deshalb arbeitet BIG Prävention an Grundschulen mit Kindern, Lehrpersonal und Eltern zu häuslicher Gewalt. Denn nach wie vor gilt häufig: Erleben Mädchen Gewalt durch Jungen, gilt das als normal: "Er macht das doch nur, weil er Dich mag". Was das bedeutet, hat eine Studie mit Grundschüler(inne)n gezeigt:

von Dr. Nancy Lombard

Die im Februar veröffentlichte europäische Studie zu Gewalt gegen Frauen war im Prinzip alter Wein in neuen Schläuchen: Eine von drei Frauen erlebt im Laufe ihres Lebens Gewalt, in einem von zehn Fällen innerhalb der letzten 12 Monate. Wir wissen, dass auf lokaler, nationaler und globaler Ebene männliche Gewalt gegen Frauen in allen Gesellschaften und Kulturen ein soziales Problem und eine dauerhafte Menschenrechtsverletzung darstellt. Bestätigt wird das Jahr für Jahr und weltweit von offiziell erhobenen Daten.

Wir wissen das; wir können diese Zahlen im Schlaf zitieren. Der Bericht ist schlicht ein weiterer Beweis dafür, wie tiefgreifend und umfassend Gewalt gegen Frauen in unseren Gesellschaften verankert ist.
Doch dieses Wissen könnte das Problem sogar verschlimmern: Unter Umständen kann die kontinuierliche Bestätigung des Ausmaßes von Gewalt gegen Frauen dazu führen, dass sie eher als normal wahrgenommen wird, als Widerstand auszulösen.

Meine Erfahrung

Seit meinem 18. Lebensjahr bin ich als Ehrenamtliche, Aktivistin und Forscherin im Bereich Gewalt gegen Frauen aktiv. Meine aktuellste Forschungsarbeit beschäftigte sich mit der Frage, was Grundschulkinder über Männergewalt gegen Frauen denken.

Während ich meine Forschungsarbeit konzipierte, dachte ich auch über meine persönliche Geschichte und die Frage nach, warum ich angefangen hatte, mich für dieses Thema zu interessieren. In Frauen erwacht ein solches Interesse häufig aufgrund einer eigenen Erfahrung, aber ich hatte immer angenommen, dass ich keine von ihnen sei, da ich keine persönliche Gewaltgeschichte hatte.
Aber als ich ernsthaft anfing, darüber nachzudenken, war ich schockiert – nicht nur von der Liste der Übergriffe, die ich erlebt hatte, sondern vor allem davon, wie sehr ich sie heruntergespielt und als normal empfunden hatte. Und davon, wie sie mich nach wie vor tangierten.

Man nimmt an, dass das Erfahren oder Benennen von Gewalt nicht immer unmittelbar geschieht. Vielmehr können Frauen oder Mädchen Gewalt sowohl im Moment der Ausübung als auch viel später als Bedrohung, Übergriff oder Angriff wahrnehmen.

Unter denjenigen meiner eigenen Erfahrungen, an die ich mich erinnerte, sind: körperliche Misshandlung, sexuelle Nötigung, unsittliche Entblößung, sexualisierte Gewalt, körperliche Angriffe und verbale sexualisierte Gewalt.
Dieses Bewusstsein für die Art und Weise, in der ich persönliche Erfahrungen von Gewalt normalisiert hatte, machte mich besonders sensibel gegenüber den Erfahrungen, die die jungen Menschen in meiner Studie schilderten, und gegenüber ihren Ansichten zu von Männern gegenüber Frauen ausgeübter Gewalt.

Interviewpartner/-innen

Ich habe Mädchen und Jungen zwischen 11 und 12 gefragt, was für sie Gewalt ist und warum und wie ihrer Meinung nach Gewalt geschieht. Ich habe auch mit ihnen über ihr eigenes Leben, ihre Freundschaften und Erfahrungen gesprochen.

Für die Mehrheit von ihnen war Gewalt etwas, das an einem öffentlichen Ort zwischen erwachsenen Männern ausgeübt wird, die körperlich miteinander kämpfen. Es würde sichtbare Verletzungen geben und jemand würde die Männer aufhalten. Jemand würde ihnen zu verstehen geben, dass ihr Verhalten falsch gewesen sei, und es würde Konsequenzen, zB einen Gefängnisaufenthalt, geben.

Gleiches galt für die Schule: Als Gewalt wurde beschrieben, dass Jungen öffentlich miteinander kämpfen und später von Lehrern oder Aufsichtspersonen gemaßregelt und bestraft werden.

Die Lebensrealität der Mädchen sah aber ganz anders aus: Sie erzählten davon, geschubst, bedrängt, getreten, verfolgt oder obszön beleidigt zu werden. Ihre Erfahrungen passten nicht in die übliche Beschreibung von „echter“ Gewalt, die ausschließlich in der Öffentlichkeit kämpfende Männer und offiziell ausgesprochene Konsequenzen umfasste.

Stattdessen wurden Mädchen wieder und wieder von Lehrer(-inne)n oder anderen Autoritätspersonen abgewiesen, weil sie sich angeblich Geschichten ausdachten oder eine Bagatelle übertrieben darstellten – oder ihnen wurde mit dem altbekannten „das macht er nur, weil er Dich mag“ entgegnet.

Gewalt benennen

Dadurch, dass die Erfahrungen der Mädchen bagatellisiert und als normal dargestellt wurden, wurden sie entwertet. In ihrem Erwachsenenleben wiederholt sich das typischerweise in dem, was „alltägliches Miteinander von Männern und Frauen“ genannt wird.

Für mich erklärt das auch, warum in Ländern wie Dänemark und Schweden eine höhere Gewaltbetroffenheit von Frauen erfasst wurde. In Ländern mit größerer Geschlechtergerechtigkeit ist es wahrscheinlicher, dass die Gewalterfahrungen von Frauen offiziell anerkannt werden, was sie dazu befähigt, diese konkret als solche zu benennen.

Wir müssen damit anfangen, auf Basis dieser Erkenntnisse zu handeln, anstatt immer wieder Altbekanntes neu zu präsentieren. Präventive Angebote und Aufklärungskampagnen sind zentral dafür, Widerstand gegen diese Gewalt zu fördern.

Vor allem aber müssen wir dagegen angehen, dass Gewalt als normal gilt. Wir müssen gegen jene Dynamiken heterosexueller Beziehungen kämpfen, in denen die Machtstellung von Männern gegenüber Frauen unhinterfragt als normal und natürlich gilt und dafür genutzt wird, Gewalt zu rechtfertigen.

Dieser Artikel erschien in der englischen Originalversion erstmals auf www.theconversation.com. Die Autorin Nancy Lombard arbeitet an der Universität Edinburgh und lehrt an der Glasgow Caledonian University Soziologie und Sozialpolitik. Der Artikel basiert zum Teil auf einem Aufsatz von 2013 mit dem Titel „Young People’s Temporal and Spatial Accounts of Gendered Violence“. Er kann nach Anmeldung kostenlos unter www.academia.edu heruntergeladen werden.