Richtigstellung zu: „Immer mehr Frauen verprügeln ihre Partner“

Die meisten Täter häuslicher Gewalt sind männliche Deutsche

(2012/09) Eine dpa-Meldung vom Montag, 03.09.2012 unter dem Titel „Immer mehr Frauen verprügeln ihre Partner“ suggeriert einen gravierenden Anstieg schwerer körperlicher Gewaltausübung durch Frauen in Partnerschaften und erweckt den Anschein, dass häusliche Gewalt in Zusammenhang mit bestimmten „kulturellen Hintergründen“ stünde. Dazu erklärt BIG e.V.: Beide Behauptungen sind falsch.

Berlin, 03.09.2012. Im ursprünglichen Text wurden Zitate aus einem zurückliegenden Interview verwendet, falsch wiedergegeben und der Eindruck erweckt, es hätte über das Thema „weibliche Täterinnen“ ein Gespräch gegeben. So hieß es: „Studien zeigen, die Gefahr ermordet zu werden, ist dann [Anm.: nach einer Trennung] fünfmal so groß“. Das falsche Zitat suggeriert, dass auch Männer während einer Trennung Gefahr laufen, von ihren (ehemaligen) Partnerinnen getötet zu werden. Richtig ist: Diese Gefahr besteht fast ausschließlich für Frauen und geht von ihren männlichen (ehemaligen) Partnern aus. Die dpa-Meldung wurde zwischenzeitlich korrigiert, die falsche Version aber zum Teil von anderen Medien übernommen.

Weitere Beanstandungen sind:

1. Irreführende Interpretation der geschlechtsbezogenen Daten

Die dpa-Meldung bezog sich auf die bereits vor mehreren Monaten veröffentlichte Berliner Kriminalstatistik 2011. In dieser Statistik wird im Rahmen des gesondert ausgewerteten Merkmals „häusliche Gewalt“ unter anderem auch das Geschlecht der Tatverdächtigen erfasst. Tatsächlich gibt es unter den weiblichen Tatverdächtigen seit Jahren einen leichten Anstieg von 21,2% in 2007 auf 24,7% im vergangenen Jahr 2011.

Das bedeutet: Nach wie vor sind 2/3 der Tatverdächtigen männlichen Geschlechts. Alle verlässlichen repräsentativen Studien bestätigen, dass häusliche Gewalt ein geschlechtsspezifisches Gewaltphänomen ist und sich vor allem gegen Frauen richtet. Während für Männer der öffentliche Raum das größte Risiko birgt, Opfer einer Straftat zu werden, ist der gefährlichste Ort für Frauen das soziale Umfeld.

Die Erfahrung zeigt außerdem: häufig sind die durch Männer zur Anzeige gebrachten Taten durch Frauen keine Erstangriffe, sondern Reaktionen auf die von den Männern selbst ausgeübte Gewalt. Wenn die Polizei nach einem Einsatz wegen häuslicher Gewalt eine Anzeige gegen den männlichen Täter aufnimmt, erlässt dieser unter Umständen seinerseits eine Anzeige gegen das eigentliche Opfer der Gewalt, wenn die Frau Gegenwehr geleistet hat.

Darüber hinaus gibt es Gewalt auch in gleichgeschlechtlichen bzw. trans*-Beziehungen. Ein Anstieg der weiblichen Tatverdächtigen hängt also nicht unbedingt mit gestiegener Gewalt durch Frauen in heterosexuellen Beziehungen zusammen.

Laut BKA war 2011 in der Hälfte der 313 Tötungsdelikte an Frauen deren Partner der Tatverdächtige (im Vergleich wurden 24 Frauen der Tötung an ihren Partnern verdächtigt). Eine Dunkelfeldstudie des BMFSFJ von 2004 bestätigt, dass jede vierte Frau in Deutschland von häuslicher Gewalt betroffen ist. 2/3 dieser Betroffenen werden über einen längeren Zeitraum hinweg schwer misshandelt. Im Falle einer beabsichtigten oder tatsächlichen Trennung steigt für Frauen das Risiko, von ihren männlichen Partnern ermordet zu werden, um das Fünffache. In Europa ist die Hauptursache für den Tod oder die Verletzung von Frauen Gewalt durch den eigenen (ehemaligen) Partner.

2. Irreführende Interpretation der Nationalität von Tatverdächtigen

Die dpa-Meldung schließt mit der Feststellung: „Experten zufolge spielen kulturelle Hintergründe bei den Taten oft eine Rolle - vor allem wenn Männer ihre Frauen schlagen. Gut ein Drittel hat keinen deutschen Pass, die meisten davon - rund ein Drittel - haben türkische Wurzeln.“

Diese Schlussfolgerung ist irreführend. Ein Drittel aller Täter hat keine deutsche Staatsangehörigkeit, und wiederum nur ein Drittel dieser Minderheit ist türkischer Herkunft.

2/3 der Täter in Deutschland besitzen eine deutsche Staatsangehörigkeit. 2/3 der Täter und Opfer schwerer Misshandlungen stammen aus der so genannten Mehrheitsgesellschaft: sie verfügen über eine gute bis überdurchschnittliche Bildung, haben einen Arbeitsplatz, sind nicht alkoholabhängig und haben keinen Migrationshintergrund.

Die meisten Täter häuslicher Gewalt sind Männer aus der Mitte der
Gesellschaft.

Häusliche Gewalt wird auf der ganzen Welt ausgeübt – in allen sozialen Schichten, Religionen und Kulturen. Die Ursache für häusliche Gewalt ist dabei immer gleich: eine Verletzung falsch verstandener Männlichkeit.

3. Verletzung des Pressekodex

Besonders der Berliner Kurier griff das Thema auf eine Weise auf, die für weibliche wie männliche Opfer von Partnerschaftsgewalt ein Hohn ist: trotz mehrmaliger Aufforderung, die falsch übernommenen Angaben und Zitate zu ändern, blieb der ursprüngliche Text unverändert im Netz verfügbar.

Bebildert wurde der Artikel mit dem Foto einer Frau, von der nur der in ein Lackmieder gekleidete Torso und die eine Peitsche haltende Hand zu sehen ist. Diese wohl humorig gemeinte Bildauswahl verstößt unseres Erachtens gegen §1,2 und 11 des Pressekodex: Wahrung der Menschenwürde, das Verbot der Entstellung von Inhalten z.B. durch Bildauswahl und der Verzicht auf eine unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt.

BIG e.V. – die Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen – bietet mit der BIG Hotline telefonische Beratung bei häuslicher Gewalt. Unter der Telefonnummer 030/ 611 03 00 können Betroffene und Unterstützer/-innen 365 Tage im Jahr von 9 – 24h anrufen.

Auch Männer erleiden Gewalt in Beziehungen. Diese Männer haben genau wie Frauen ein Anrecht auf Hilfe und Unterstützung. In Berlin kooperiert die Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen, BIG e.V., eng mit der Opferhilfe Berlin (Hilfe für Opfer von Straftaten Berlin e.V., www.opferhilfe-berlin.de), damit auch diese Betroffene die ihnen zustehende Hilfe erhalten.

Weitere Informationen finden Sie unter: www.big-berlin.info